„Keiner hat eine Strategie, es sei denn, es geht gegen Russland, gegen Putin“

06.12.2021.

von: Horst Teltschik

Prof. Teltschik war 19 Jahre lang die „Graue Eminenz“ von Bundeskanzler Helmut Kohl in außenpolitischen Fragen und stets an seiner Seite bei Gesprächen mit den Staatsoberhäuptern aus aller Welt. Besondere Verdienste erwarb Teltschik sich in den Verhandlungen zur deutschen Wiedervereinigung. Der enge Vertraute des damaligen Bundeskanzlers trug maßgeblich zum Erfolg des bahnbrechenden Gespräches vom 10. Februar 1990 bei, in dem Michail Gorbatschow den Weg zur Deutschen Einheit frei gab.

Seit seinem Rückzug aus der aktiven Politik haben Teltschik vor allem die Themen Russland und Abrüstung nicht mehr losgelassen. Sein aktuelles Buch nennt sich „Russisches Roulette“. In einem Gespräch mit Journalisten am Montag äußerte sich Teltschik auch zu den aktuellen Koalitionsverhandlungen: „Ich glaube, dass uns außenpolitisch dramatische Entwicklungen bevorstehen. Und ich sehe niemanden in den jetzigen Koalitionsverhandlungen, der eine Strategie hat, es sei denn, es geht gegen Russland, gegen Putin. Negative Stimmen gibt es bei der Baerbock, bei der FDP, bei der CDU/CSU, bis hinein in die SPD.“

Kein Gespür für die Russen

Auf die Frage, warum Grüne und FDP, die ja zur kommenden Bundesregierung gehören werden, so stoisch gegen Russland sind, antwortete Teltschik: „Weil sie nie in Russland waren, weder privat, noch offiziell. Und wenn sie mit Russen zusammenkommen, dann meist in einem offiziellen Rahmen, wo es meist keine Gelegenheit gibt, auch mal persönlich ein Gespür für die Persönlichkeit zu bekommen. Es wird sich immer nur auf die offiziellen Stellungnahmen, auf Putins oder Lawrows Reden bezogen. Ich glaube, dass die aktuellen Politikverhandler auch zu wenig über die Geschichte wissen, über die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Umso bemerkenswerter war, dass unser Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kürzlich in einer Rede der 27 Millionen aufgrund eines Angriffs der Deutschen gestorbenen Sowjetmenschen im Zweiten Weltkrieg gedacht hat. Darüber wird ja in Deutschland kaum geredet, dass wir 27 Millionen tote Russen zu verantworten haben. Ich spüre bei den meisten aktuellen Politikern keinen Willen, sich damit zu beschäftigen. Ich glaube, dass da vieles sehr oberflächlich läuft.“

Treffen auf jeder Ebene

Gefragt nach einer Russland-Strategie, die er vorschlagen würde, meinte Teltschik: „Ich würde jede Chance nutzen, die Beziehungen zu Russland, auf jeder möglichen Ebene, zu entwickeln. Das beginnt beim Jugendaustausch, also junge Russen und junge Deutsche zusammenzubringen. Ich bin auch Honorarprofessor in St. Petersburg. Kulturaustausch ist wichtig. Schauen Sie sich die Dirigenten der großen Orchester in Deutschland an – da gibt es viele Russen. Und politisch: miteinander reden und überlegen, was können wir anbieten.“

Knackpunkt Ukraine-Krise

Teltschik ist noch immer gut vernetzt und sein Rat wird zumindest zur Kenntnis genommen. An der noch amtierenden Bundeskanzlerin schätzt er, dass sie mit dem russischen Präsidenten im ständigen Austausch war. Putin hält auch große Stücke auf Merkel, wie dieser Teltschik in einem Gespräch mitteilte. Beim Thema Ukraine sei allerdings vieles schiefgelaufen, meint Teltschik: „Ich habe mal versucht, der Bundeskanzlerin – das war noch vor der Ukrainekrise – nach einem langen Gespräch mit Putin, in einem Brief zu erklären: bevor man mit der Ukraine irgendetwas macht, muss man parallel überlegen, was man den Russen anbietet. Da ging es um die Assoziierung der Ukraine mit der Europäischen Union. Da gab es bereits den Vorschlag einer gesamteuropäischen Freihandelszone von Wladiwostok bis Lissabon. Das hätte man offensiv voranbringen müssen.“

Zwei-Prozent-Ziel – „Schwachsinn“

Gefragt nach dem Verhältnis Nato-Russland kritisierte Teltschik, dass sich der Nato-Russland-Rat so selten und nur auf Botschafterebene trifft. Das Zwei-Prozent-Ziel, also die Zielgabe, dass jedes Nato-Mitglied zwei Prozent seines Haushaltes in die Verteidigung investieren soll, hält Teltschik für „Schwachsinn”. Teltschik beklagte, dass es auf Regierungsebene kaum Experten zum Thema Abrüstung und Rüstungskontrolle gäbe.

Die Entwicklungen der Nukleartechnik hält Teltschik für „unheimlich gefährlich”. Die Systeme werden schneller und kleiner und seien damit leichter einzusetzen und schwieriger abzuwehren, so Teltschik.

Quelle und gesamter Artikel: snanews.de

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