See, understand, take up, and rush – ein ökonomischer Blick auf die Digitalisierung

07.05.2018.

Die Perspektive von Unternehmen und ihren Mitarbeitenden

Digitalisierung ist ein Prozess, der letztlich alles dezentralisiert, entbündelt und zur Infrastruktur macht. Das hat ökonomisch weitreichende Konsequenzen. Vordergründig klar und offensichtlich ist, dass Geschäftsmodelle in Zukunft nur mehr auf sehr überschaubarer Zeit funktionieren werden und dass irgendwann fast alles kostenlos wird – nur eben nicht gleichzeitig. Für Unternehmen heisst das: Sie müssen alles tun, damit ihre Leistungsträgerinnen und Träger sich dauernd weiterentwickeln. Einerseits wird das, was die besten Mitarbeitenden heute tun, in wenigen Jahren keinen Wert mehr haben. Anderseits kann nur das Unternehmen mit der Beschleunigung mithalten, dass den ad hoc entstehenden Chancen nicht hinterherläuft, sondern sie flüssig aufnehmen kann. Unternehmen, die der alten Logik planerischen Entscheidens folgen, werden zwar nach wie vor gebraucht: aber nur das beste eine Prozent von ihnen, das beispielsweise tatsächlich imstande ist, alle Eventualitäten eines Grossereignisses wie einer Sommerolympiade zu antizipieren. Für den Rest heisst es, fit zu werden für das permanent Neue. Diese Fitness setzt voraus, dass so viel Wissen und Knowhow vorhanden ist, dass das Neue als Weiterentwicklung des Alten erkannt wird. Damit dies passiert, müssen die Leistungsträgerinnen und Träger permanent lernen und reflektieren, was an Neuem entsteht. Erster Nebeneffekt: profunde theoretische Ausbildung erleichtert es Mitarbeitenden, dauerhaft hohe Leistung zu erbringen, denn die theoretische Ausbildung beschleunigt das Lernen. Zweiter Nebeneffekt: das Trainieren generischer Fähigkeiten zum Problemlösen gewinnt gross an Bedeutung, als entscheidendes Komplement zum theoretischen Wissen.

Die weissen und die grauen Flecken der Ökonomie

So weit, so simpel und schwer zu akzeptieren. Das heisst: für uns alle schwer zu akzeptieren, weil die Welt immer komplexer wird! Doch hinter dem offenkundigen digitalen Wandel des Geschäftslebens steht ein sehr weitreichender Wandel der Marktökonomie – nämliche u.a. ökonomische Dependenzen und zeitliche Pfadabhängigkeiten – der bislang nur unzureichend erforscht wurde. Und selbst was erforscht wurde, hat sich kaum herumgesprochen. Mittlerweile wissen zwar viele, was die unsichtbare Hand des Marktes von Adam Smith meint, und immer mehr wissen sogar, dass nur einen Teil des Marktverhaltens erklärt. Aber Schumpeters kreative Zerstörung gilt für grosse Teile der intellektuellen Elite nach wie vor als teuflisch, weil sie sich nie die Mühe gemacht haben zu verstehen, worum es dabei geht. Leider erklärt auch die kreative Zerstörung nur einen Teil des Wandels. Konzepte wie der Abstand zur technologischen Grenze sind sogar noch weitgehend unbekannt, obwohl sie beispielsweise erklären, warum Mega-Staatskonzerne heute viel schlechtere Lösungen sind als früher. Nur: auch dieses Konzept hat Grenzen. Immerhin: Neue Konzepte wie die ökonomische Komplexität sind sehr vielversprechend und vor allem messbar. Die Ideen hinter der ökonomischen Komplexität legen nahe, dass es (im Gegensatz zum Entropiewachstum geschlossener Systeme) in der Wirtschaft ein natürliches Ordnungswachstum gibt, das Märkte wandelt und Entwicklungen fördert, für die es den Bedarf nur im Nachhinein gibt. Leider sind solche Überlegungen gänzlich inexistent im Bildungsdiskurs. So oder so, um welche Modelle es sich auch immer handelt, wir stehen erst am Anfang des ökonomischen Verstehens und wir haben das Problem, das ökonomische Modelle den Entscheidungsträgern kaum bekannt sind. Trotzdem müssen wir uns der Frage stellen, wie der Staat auf die Digitalisierung reagieren soll.

Das Problem mit strategischem Handeln

Ein hinterherlaufendes Handeln des Staats ist zwar weniger ruinös als ein hinterherlaufendes Handeln in der Wirtschaft. Gleichwohl ist es nicht gut genug, um eines der reichsten Länder der Welt zu bleiben. Der Staat muss strategisch handeln, oder eben auch strategisch im Nichtstun verharren. Das ist eine Herausforderung, denn die Strategieforschung legt nahe, dass es auf radikal strategische Fragen keine richtigen Antworten gibt, nicht im Vorhinein und nicht einmal im Nachhinein. Ebenso wichtig wie der Inhalt einer Strategie ist die Qualität ihrer Umsetzung. Während die Naturgesetze und die mathematischen Erkenntnisse nur gefunden werden müssen, kreieren strategisches Handeln und die soziale Reaktion darauf die Logik des Markts. Kim und Mauborgne haben in diesem Kontext das Phänomen der Blue Ocean Strategien identifiziert und teilformalisiert – nur dass sie zu wenig den Nichtdeterminismus, beziehungsweise die Kontingenz, betont haben. Eine der Ursachen für diese Kontingenz ist, dass die (von ihnen identifizierten) Passagen vom Roten zum Blauen Ozean gleichzeitig jene Transitionen sind, die die häufigste Ursache für den Untergang von Unternehmen darstellen. Doch das ist beileibe nicht die einzige Ursache. Wir müssen akzeptieren dass strategisches Handeln immer Mut und Fortune braucht und nie vollumfänglich rational erarbeitet, beziehungsweise errechnet, werden kann. Das gilt auch für das strategische Handeln des Staats.

Das «Must Have» für den Staat

Weitgehend klar ist immerhin: Trägt der Staat nichts zur Förderung der Digitalisierung bei, dann macht er sich selber ebenso obsolet wie er den Fortbestand der halbdirekten Demokratie untergräbt. Nicht wenige meinen, dass Staaten ein Auslaufmodell sind. Moderate Vordenker gehen zumindest davon aus, dass «nur» viele hoheitliche Aufgaben der Gesellschaft übergeben werden. Doch was bleibt dann vom Staat ausser dem Militär? Zudem, dass heute Demokratie ein viel vieldeutigeres und deshalb umstritteneres Konzept als früher ist, ist evident. Offensichtlich ist, dass der Staat – zur Wahrung seiner Existenz ebenso wie zur Förderung der Wirtschaft – die richtigen Rahmenbedingungen setzen muss, damit kreative Zerstörung und Wachstum der ökonomischen Komplexität stattfinden können. Das allein ist jedoch zu wenig. Der Staat muss auch seine Ausbildungs- und Bildungsaufgaben wahrnehmen. Digitale Nachhaltigkeit ohne Bildung ist ein Deus ex machina, der auf eine Welt abzielt, in der die Maschinen unter sich die Zukunft gestalten. Gleiches gilt für die Forschung: Erstens ist ohne Forschung kein nachhaltiges Bildungswesen möglich, allein schon weil eine gute Hochschulbildung Studierende das Forschen lehrt. Zweitens bringt die Wirtschaft nicht selber genügend viele jener Erfindungen zusammen, die sie braucht. Es gäbe kein Silicon Valley ohne staatliche amerikanische Forschung. Doch all das – Rahmenbedingungen, Bildung und Forschung – sind nur notwendig, nicht aber hinreichend zur Sicherung guter Chancen für die Schweiz in der digitalen Zukunft.

Eine strategische Option für den Staat

Die eigentliche strategische Frage ist, ob der Staat in der Schweiz das Fundament für eine digitale Infrastruktur selber baut oder ob er den Bau dem Spiel des Markts überlässt. Ökonomisch rentabel ist der Aufbau dieser Infrastruktur nur, wenn sie Monopole ermöglicht für darauf aufsetzende Dienstleistungen. Ohne Monopolrenten und die Möglichkeit, die Innovationen anderer abzuschöpfen – wie dies beispielsweise Betreiber grosser Plattformen heute tun – ist Infrastrukturbetrieb ein Verlustgeschäft. Wenn wir also einen möglichst freien digitalen Markt wollen in der Schweiz, so legt der bisherige ökonomische Wissensstand nahe, dann muss der Staat als Bauherr für die Fundamente der digitalen Infrastruktur auftreten und das Basisfundament sogar selber bauen. Dieses Basisfundament wären drei integrierte Kernregister für natürliche Personen, rechtliche Personen und Objekte. Darauf kann dann ein Vertrauensdienste-Ökosystem aufsetzen. Auf diesem Vertrauensdienste-Ökosystem können selber wieder staatliche und privatwirtschaftliche Datenplattformen aufbauen, auf die von privatwirtschaftlichen und einigen staatlichen digitalen Diensten genutzt werden.

Warum wir das nicht tun? Erstens tun wir es ein klein wenig: VGWR und staatliches Adressregister sind richtige, wichtige Schritte zur skizzierten Strategie. Zweitens aber gibt es ein riesiges Zukunftsproblem: Das Wissen um die grösseren Zusammenhänge der digitalen Transformation besitzen nur wenige Entscheidungsträger in Verwaltung und Politik. Weil die Schweiz so reich ist und so viel mehr Geld als die umliegenden Länder verfügt, ist dieses Wissensdefizit vorerst noch kein Problem. Aber irgendwann wird es zum Riesenproblem werden. Unsere Hauptaufgabe heute ist deshalb, die Entscheidungsträger des Landes fit zu machen für den digitalen Wandel. Wir müssen sie ausbilden!

See, understand, take up, and rush!

Was uns in dieser schwierigen Situation als Richtschnur dienen kann ist die Beobachtung, dass die Digitalisierung radikale Konsequenzen fördert. Was es nicht braucht, wird abgeschafft – all inclusive. Wir müssen alle in der digitalen Welt unsere Notwendigkeit beweisen. Das gilt nicht nur für Unternehmen oder Hochschulen, sondern auch für die staatliche Verwaltung und die politischen Parteien. Der beste Beweis für die eigene Notwendigkeit ist die Aneignung des digitalen Wandels. Immer neuen, zu einem Viertel nur verstandenen Ideen, nachzulaufen, das demonstriert die eigene Überflüssigkeit. Gleiches gilt für die 1-zu-1 Übersetzung des Analogen ins Digitale. In der Sprache des Fussballs formuliert: die Maxime sollte lauten: «See, understand, take up, and rush!» Verstehen bleibt dabei – allem anderslautenden Werbesprüchen zum Trotz – das Wichtigste! Aber ohne Tun, ohne «Rush!» geht es nicht.

Wie wir das in der Verwaltung realisieren sollen, das wissen wir noch nicht. Darum ist es derzeit auch völlig unklar, ob es für die öffentliche Verwaltung im herkömmlichen Sinn eine Zukunft gibt. So ist das, mit dem digitalen Wandel.

Autor: Prof. Dr. Reinhard Riedl

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